Neuss und der falsche Kaiser
Stadtrat befasst sich mit Tile Kolup und seiner (fast) vergessenen Geschichte
Die Fraktion „DIE LINKE / Die PARTEI“ möchte eine Episode der Neusser Stadtgeschichte wieder zum Leben erwecken. Die Rede ist von Tile Kolup, dem „Kaiser“ von Neuss.
Tile Kolup trat erstmals um 1283/1284 in Köln in Erscheinung, wo er behauptete, der im Jahre 1250 verstorbene Kaiser Friedrich II. zu sein. Man schenkte ihm wenig Glauben, verspottete ihn und jagte ihn aus der Stadt. Wenig später tauchte Kolup mit der gleichen Behauptung in Neuss auf, wo er weitaus freundlicher empfangen wurde. Er richtete sich in Neuss ein und baute um sich herum einen Hofstaat auf, der reichsweit Aufmerksamkeit erregte.
„Der hohe Adel und der Klerus gingen in Neuss ein und aus, um den angeblich zurückgekehrten Friedrich zu treffen“, erklärt Fraktionsgeschäftsführer Vincent Cziesla, der das Thema für seine Fraktion recherchiert hat.
Etwa ein Jahr lang residierte Kolup in der Stadt und ging seinen „Amtsgeschäften“ nach. „Tile Kolup war ein erfolgreicher Hochstapler. Friedrichs lange Abwesenheit erklärte er mit einer Pilgerreise. Er hatte also eine überzeugende Geschichte und wusste offenbar, sich zu verhalten. Er empfing nicht nur Gesandte, sondern hatte auch ein eigenes Siegel, mit dem er Urkunden ausstellte und Privilegien bestätigte. Tile tat also, was von einem Kaiser erwartet wurde und Neuss ließ ihn gewähren“, so Cziesla.
Es ist anzunehmen, dass mit der Unterstützung des falschen Friedrichs handfeste Interessen verfolgt wurden. „Natürlich gab es auch offensichtliche Ungereimtheiten: Friedrich II. wäre im Jahr 1284 zum Beispiel schon 90 Jahre alt gewesen, wenn er tatsächlich überlebt hätte. Aber sicher wollten viele gerne an Kolup und seine Geschichte glauben oder zumindest so tun. Der „echte“ Kaiser Rudolf I. lag mit mehreren politischen Akteuren und Städten im Streit, verlangte hohe Steuern und war nicht sonderlich beliebt. Da kam Tile Kolup gerade recht; zumal es einen weitverbreiteten Volksglauben an die Wiederkehr des Staufer-Kaisers gab“, so Cziesla.
Im Jahr 1285 beschloss Rudolf von Habsburg, dem Treiben in Neuss ein Ende zu setzen. Er verlangte die Auslieferung des Hochstaplers, der sich daraufhin nach Wetzlar absetzte. Rudolf verfolgte ihn mit seinem Heer und belagerte die Stadt. Schließlich wurde Tile Kolup ausgeliefert und am 7. Juli 1285 in Wetzlar hingerichtet.
„Tile Kolups Wirken in Neuss war mehr als eine Fußnote der Geschichte“, ist sich Cziesla sicher. „Schon das militärische Eingreifen Rudolfs zeigt, dass Tiles Friedrich-Imitation zu einer echten Gefahr geworden war. Im Nachgang zu dieser Episode machte Rudolf Zugeständnisse an die Städte, um weitere Streitigkeiten zu vermeiden. Tile Kolup hatte mehrere Rollen: Er war ein überzeugender Hochstapler, eine Projektionsfläche für das gläubige Volk und ein in gewisser Hinsicht tragischer Spielball der Mächtigen.“
Nun soll die Erinnerung an Tile Kolup auch im Neusser Stadtbild wieder zum Leben erweckt werden. Bisher findet sich in der Stadt kein Hinweis auf den „Kaiserhof“ der hier ein Jahr lang residierte. Mit einem Antrag zur Ratssitzung am 18. Juni möchte die Fraktion „DIE LINKE / Die PARTEI“ einen kreativen Prozess anstoßen, um diesen Abschnitt der Neusser Geschichte zukünftig prominent in Szene zu setzen:
„Jeder kennt den Hauptmann von Köpenick, aber kaum jemand kennt Tile Kolup. Auch viele Neusserinnen und Neusser haben von dieser Geschichte noch nie etwas gehört. Dabei ist der falsche Hauptmann ein kleiner Fisch im Vergleich zu unserem Kaiserhof. Zusammen mit den Kulturschaffenden und dem Stadtmarketing möchten wir „unseren“ Kaiser deshalb zurück nach Neuss holen.“
Wer mehr über die Geschichte von Tile Kolup und die Hintergründe erfahren möchte, dem ist diese Folge des „Zeitsprung“-Podcasts zu empfehlen.
Antrag zur Ratssitzung am 18. Juni 2021
„Ego sum rex Fridericus“ – Erinnerung an Tile Kolup und die Rückkehr des falschen Kaisers
Beschluss:
- Tile Kolup und seine „Herrschaftszeit“ in Neuss sollen einen Platz im Stadtbild und in der Neusser Erinnerungskultur finden.
- Zu diesem Zweck werden Stadtverwaltung und Kulturausschuss beauftragt, in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv sowie Kunst- und Kulturschaffenden eine geeignete Form der Erinnerung an den „falschen Friedrich“ zu finden. Das Ziel ist die Sichtbarmachung dieses Kapitels der Neusser Stadtgeschichte.
- Darüber hinaus soll (z.B. mit Neuss Marketing) evaluiert werden, inwiefern eine prominentere Würdigung der Geschichte um Tile Kolup, Chancen für die kulturelle Rezeption (z.B. im Rahmen von Stadtfesten, Mittelaltermarkt, Theater usw.) und für das Stadtmarketing bieten könnte.
Begründung:
Tile Kolup (hochdeutsch: Dietrich Holzschuh) war einer der erfolgreichsten und bekanntesten Hochstapler des Mittelalters. Den Höhepunkt seines Schaffens erlebte er in Neuss. Hier gab er sich ca. ein Jahr lang als Kaiser Friedrich II. aus, hielt Hof, beurkundete Privilegien und empfing Gesandte. Neuss wurde dadurch zentraler Schauplatz der Opposition gegen Rudolf I. (dem „echten“ Kaiser), des Volksglaubens an den „Friedenskaiser“, sowie eines der größten Betrugsfälle der mittelalterlichen Geschichte.
Tile Kolup trat erstmals um 1283/1284 in Köln in Erscheinung, wo er behauptete, der im Jahre 1250 verstorbene Kaiser Friedrich II. zu sein. Man schenkte ihm wenig Glauben, verspottete ihn und jagte ihn aus der Stadt. Wenig später tauchte Tile Kolup mit der gleichen Behauptung in Neuss auf, wo er weitaus freundlicher empfangen wurde. Er richtete sich in Neuss ein und baute um sich herum einen Hofstaat auf, der reichsweit Aufmerksamkeit erregte: „Hohe Adelige, Bischöfe und Fürsten besuchten ihn in regelmäßigen Abständen und es kann vermutet werden, dass diese zumindest nicht ausschlossen, dass Dietrich Holzschuh tatsächlich der wiedergekehrte Friedrich II. sein könnte. Vielleicht wollten sie es aber im Angesicht der Politik des rechtmäßigen Königs Rudolf von Habsburg auch gerne glauben, da seine Politik zunächst auf wenig positive Resonanz stieß und Rudolf vor allem von den Städten hohe Steuersummen forderte.“[1] So ließ sich auch die Äbtissin von Essen, die im Streit mit dem Kölner Erzbischof lag, ihre Privilegien vom vermeintlichen Friedrich in Neuss bestätigen.
So wurde Tile Kolup von einer „Fußnote“ der Geschichte zum Spielball handfester politischer Interessen. Man kann vermuten, dass auch die Stadt Neuss ihre Unterstützung des falschen Kaisers mit dem Wunsch nach Steuererleichterungen verband. Im Jahr 1285 forderte Rudolf von Habsburg die Herausgabe des Hochstaplers, der sich daraufhin nach Wetzlar absetzte. Rudolf zog mit seinem Heer nach Wetzlar. Schlussendlich wurde der falsche Friedrich ausgeliefert und am 7. Juli 1285 vor den Toren der Stadt verbrannt.
In Neuss finden sich kaum Hinweise auf den „Kaiserhof“, der bis zum Jahr 1285 in der Stadt residierte. Das Stadtarchiv erwähnt die Episode kurz auf seiner Website und im Neusser Jahrbuch von 1968 gibt es einen Beitrag von Gerhard Kallen über Tile Kolup.
Auch vor dem Hintergrund der Bemühungen, Neusser Geschichte erlebbar zu machen, sollte die Geschichte um den falschen Friedrich einen prominenten Platz im Stadtbild und in der Erinnerungskultur erhalten. In Wetzlar wurde federführend von der Erwerbsloseninitiative „WALI“ ein Denkmal für Kolup errichtet. Darüber hinaus wurde ein historischer Umzug veranstaltet und ein Kulturprojekt („Kaiser werden leicht gemacht“) durchgeführt, in dessen Rahmen ein Theaterstück entstand.
Die Geschichte von Tile Kolup steckt voller Tragik und Komik; verbunden mit einer durchaus vorhandenen „Schlitzohrigkeit“. Für die Rezeption, Interpretation und Wiederspiegelung des Geschehens sind daher verschiedene Formen denkbar. Aus diesem Grund möchten wir einen kreativen Prozess anregen, der zum Mitmachen einlädt, ohne heute schon eine konkrete Darstellungsform vorzuschlagen.
Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwiefern sich das Wirken des falschen Kaisers in Neuss auch im Rahmen des Stadtmarketings aufgreifen lässt. Vergleichbare historische Figuren (man denke an den „Hauptmann von Köpenick“) werden vor Ort umfassend rezipiert und ausgestellt.
[1] http://geschichte-in-kurz.blogspot.com/2018/09/dietrich-holzschuh-oder-das-warten-auf.html